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Der 35. Mai
Um es vorwegzunehmen: Wir waren ungemein stolz auf diese Theatersaison. Das hatte vor allem 2 Gründe: Wir haben zum ersten Mal ein Stück wirklich selbst entwickelt und wir haben eine Krise miteinander gemeistert, dass es am Ende mehr Spass machte, das Stück zu spielen als am Anfang. Und wir haben öfter gespielt, als in den vielen Jahren zuvor.
Sicher, das Kästner-Geburtstagsjubiläum zum Hundertsten ist erst im nächsten Jahr. Aber vielleicht hätte der humorvolle Dichter sich auch gefreut, dass eines seiner ersten Jugendbücher in diesem Jahr bei uns zu einer Art Jubiläum zum 99.Geburtstag hergehalten hat.
Der Vorschlag eines Spielers gab den Anstoß. Er hätte da noch so ein Kinderbuch, das wäre ganz witzig, und er hätte es als Kind auch gern gelesen. Das müsste doch was sein: "Der 35.Mai" von Erich Kästner. Gut, von Kästner hatte ich gehört, aber nicht von diesem Buch. Die Lektüre in den Sommerferien brachte es an den Tag. Es handelt sich wohl um eine Art frühes Phantasybuch für Kinder, vielleicht das erste überhaupt, entstanden im Jahr 1927.
Ein mathematisch begabtes Kind namens Konrad bekommt zur Föderung seiner Phantasie einen Aufsatz über die Südsee auf. Zum Glück wird es an diesem Tag von seinem Onkel Ringelhut betreut, denn der ist "abgedreht" genug, sich nicht zu erschrecken und abzuwenden, als sie dem arbeitslosen Zirkuspferd Negro Caballo auf dem Weg nach Hause begegnen. Nein, er lädt das Pferd selbstredend zum Mittagessen ein. Und das ist die Rettung, denn das Pferd kennt das Riesenross, und das Riesenross den Weg, wie man in zwei Stunden in die Südsee kommt und wieder zurück. Dass man dazu das Schlaraffenland, das Mittelalter, die Verkehrte Welt und einiges mehr durchqueren muss, das stellt sich erst im Laufe des Weges heraus. Viel interessanter noch als die Handlung erschienen aber die Kästnerschen Themen: Ein Kind lernt Phantasie und setzt sich dabei mit dieser seltsamen Weltder Erwachsenen auseinander.
Das war der erste Blick. Dann folte der zweite auf die Spielgruppe und die Bühne. Schreck lass nach: Ein halbes Dutzend volle Bühnenbilder hätte es schon gebraucht, selbst wenn man die eine oder andere Station der Reise ausgelassen hätte. und wo nehmen wir einen Konrad her und einen Onkel Ringelhuth und die ganze andere Männerwelt, die Kästners Personal dominiert. Bestand doch die Theatergruppe K in diesem Jahr überwiegend aus Mädchen. Das zweite Problem wurde schnell gelöst, aus dem Jungen wurde ein Mädchen, die sind heute bekanntermaßen auch immer öfter mathematisch hochbegabt, und eine kinderfreundliche, leicht verrückte Tante, das sollte kein Problem sein. Eine weitere Überlegung ließ dann schnell die Träume von der Südsee-Welt mit dem Aufbau aus hunderten von Kuscheltieren platzen. Wie kann ein Stück von Phantasie erzäählen, wenn alles vorgegeben wird. Kurzum: Auf ein gegenständliches Bühnenbild musste aus konzeptionellen Gründen verzischtet werden. Bei der Klausurtagung in Miltenberg kurz vor den Weihnachtsferien entstand das Konzept. Es sollte ein Spiel in Rückblenden werden, das am Abend das 35.Mai stattfindet. Konradine kommt mit Tante Ringelhuth und dem Pferd nach Hause und erzählt von ihrem Tagesablauf, der sie nicht nur äußerlich verändert hat. Im Laufe der Erzählung werden die Erwachsenen immer mehr in den Spielprozess der wichtigsten Stationen hineingezogen und auch bei ihnen wächst die Lust am Spiel, die Lust am Mitspielen und damit die Phantasie. Bei jeder Station sollte sich die Wirklichkeit immer ein klein wenig mehr auflösen, so dass in der letzten Spielszene sogar ein Wal in das Wohnzimmer der Eltern einbrechen sollte.
Da die Gruppe aus 19 SpielerInnen bestand, entwickelte sich ein Konzept in Doppelbesetzung für zwei Ehepaare (Maria Bader, Jasmin Henzler, Corinna Bürger, Jessica Cabolet, Kristina Herold, Daniel Burger, Peter Hartmann, Carsten Böhm) die sich gegenseitig zum Abendessen besuchen, wobei das Gastkind Babette (Regina Menth, Annika Pötzl) von Konradine (Elke Steinbrenner, Marianne Wondrak) Nachhilfe in Mathematik erhält. Konradine, ihre Tante Ringelhuth (Nina Müller, Susanna Kochskämper) und Negro Caballo, das Pfeerd (Viktoria von Schultzendorff, Julia Lindner) behielten ihre Rolle bei, alle anderen wechselten in den Suenen der Rückblende jeweils ihre Rollen. So wurde der Vater der Gastfamilie bei Bedarf etwa zu Napoleon oder zum Südseehäuptling Rabenaas. Babette zum Ernährungsroboter oder zu Südsee-Häuptlingstochter Petersilie.
Mit dem Konzept in der Tasche und einigen Textentwürfen zogen alle Beteiligten guter Dinge in die Weihnachtsferien. Und manchen beschlich die Angst, ob er statt des Konzeptes nicht lieber einen Text zum Lernen eines vorgefertigten Stückes von einem Theaterverlag hätte mitnehmen sollen. Dieses Unbehagen wurde zur verständlichen Angst, als bis Anfang März jedes Freitagstreffen "nur" dazu diente, Ideen für die einzelnen Szenen auszuhecken. Allerdings war die Explosion der Ideen bei der Umsetzung der Kästnerschen Ideen in eigene Inszenierungsideen und Szenenabläufe bisweilen reinste Energie für die Schauspieler-Batterien. Dann endlich Mitte März, der "Lar" hatte inzwischen Maßstäbe gesetzt, winkte der Spielleiter mit den Papieren, auf denen wirklich Rollentext stand. Fünf harte Probenwochen brachten den Text ins Spiel. An jedem Vormittag der Osterferien war mindestens eine Besetzung zum Üben anwesend. Die Nachmittage und Abende der Ferien gehörten der Installation des einfachen und doch komplizierten Bühnenbildes, das ein auf wenige Versatzstücke reduziertes Wohnzimmer darstellen sollte. Herstellung eines Walfisches aus Draht und Papp-Papier, Einrichten der Beleuchtung (Volker Schäfer), Austesten der Kostüme (Idee und Realisation: Stefanie Wirth) und Anpassen von Abläufen an die Musik (Komposition: Mario Bauschke, Weimar) kosteten weitere Stunden.